Das Protokoll schreibt institutionell produzierte Wahrheit fest, verbürgt durch formale Vorgaben seiner Entstehung sowie die Kopräsenz der oder des Protokollierenden zum Ereignis. In diesem Beitrag wird erörtert, welche Rolle Protokolle in Disziplinarverfahren von öffentlich Bediensteten des frühen 20. Jahrhunderts spielten. Zunächst werden Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Gerichts- und Disziplinarverfahren erfasst, zumal das Disziplinarrecht ab 1914 auf Basis der Strafprozessordnung von 1873 modelliert wurde. Eine zentrale Frage ist, wie mit Protokollen aus Vorerhebungen im Prozess umgegangen wird – sollen sie in der mündlichen Verhandlung verlesen werden oder soll die befragte Person persönlich aussagen? Zudem braucht es für die Wahrheitsfindung mitunter mehr als protokollarisch festgehaltene sprachliche Äußerungen: auch Pläne, Gutachten und der »Augenschein« werden erfasst. Am Beispiel des Disziplinarfalls eines niederösterreichischen Bezirksbeamten aus den 1920ern, der eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs unflätig verunglimpft haben soll, wird gezeigt, mit welchen Mitteln hier eine Wahrheit produziert wurde, die eine Entscheidung in der Disziplinarsache erlaubte.