Auch wenn die Coronakrise noch nicht vorbei ist: Die Unternehmen haben sich mit den
Gegebenheiten irgendwie arrangiert. Damit wird es nun auch für das Key Account Management
Zeit, wieder nach vorne zu schauen und vom reaktiven wieder in den proaktiven Modus
zu schalten.
Der ehemalige Boxweltmeister Mike Tyson brachte es auf den Punkt: "Jeder hat einen
Plan, bis er den ersten Schlag ins Gesicht bekommt." Covid-19 hat die Verantwortlichen
im Key Account Management hart getroffen. Ehrgeizige Wachstumspläne und Rahmenbedingung
für den Key Account Manager werden neu diskutiert. Ging es zunächst darum, die Kunden
und Einnahmen zu sichern, so wurden dann die Ressourcen verstärkt auf digitale Kanäle
umgeleitet. Bestellungen wurden online abgewickelt und statt großer Runden im Konferenzraum
mit Experten seitens der Kunden und Lieferanten haben sich die relevanten Personen
direkt per Web-Meeting zusammengeschaltet. Der Aktionsraum für den Key Account Manager
ist durch Covid-19 enger geworden. Diese Veränderungen verlangen Umdenken, Neubewertung
und Wandel beim Key Account Management.
Wandel ist erfolgskritisch
Aber ist das wirklich neu? Die Rolle des Key Account Managers - und die damit verbundenen
Fertigkeiten, Kompetenzen und Aktivitäten - befindet sich permanent in Veränderung.
Wo ein Key Account Manager noch durch Liefer- und Termintreue, gutem Preis-Leistungs-Verhältnis,
Flexibilität und durch eine gute Vertrauensebene zum Einkäufer erfolgreich war, wird
er heute mit diesem Werteversprechen kläglich scheitern. Heutzutage sind das eher
Hygienefaktoren. Kein Key Account Manager wird auch nur einen Fuß bei seinen Schlüsselkunden
in die Tür bekommen, wenn er diese Faktoren nicht erfüllen kann.
Supply-Chain-Optimierung, Contingency-Pläne, Value-Growth versus Volume-Growth, Digitalisierung,
Internationalisierung, Customer und Value-Co-Creation sollten sich ebenso ganz oben
auf der Agenda des Key Account Managers befinden wie Daten, Datenquellen und Algorithmen
intelligent nutzen und das Orchestrieren des Eco-Systems des Key Accounts. Nur so
lässt sich weiterhin der Applaus der Kunden sichern. Abbildung 1 zeigt, wie sich der
Fokus im Key Account Management verändert hat. Der Lieferant wird mehr und mehr zum
Wertschöpfungspartner im Schulterschluss mit dem Kunden.
Der Key Account Manager als Möglichmacher
Grenzen der Verantwortung verschwimmen, gemeinsame Sparmaßnahmen und gleichzeitiger
Aufbau neuer Geschäftsfelder werden in internationalen Teams - bestehend aus Kunden
und Lieferant - umgesetzt. Die Rolle des Key Account Managers gleicht somit der eines
Möglichmachers: Er stellt die Fragen, mit denen im eigenen Unternehmen und beim Kunden
neue Denkvorgänge in Gang gesetzt und die notwendigen Prozesse initiiert werden. Dabei
ist er weiterhin erster Ansprechpartner, verhandelt Rahmenverträge, ist Vermittler
zwischen Mitarbeitern der eigenen Firma und dem Kunden, Motivator für Teammitglieder,
Entscheider, Strippenzieher, Projektmanager und natürlich auch Betriebswirtschaftler,
um sicherzustellen, dass die Vielzahl der Aktivitäten und Maßnahmen am Ende des Tages
auch zu finanziellem Erfolg führen. Abbildung 2 zeigt die Verschiebung der geforderten
Kompetenzen und Fertigkeiten eines Key Account Managers.
Agilität, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind neben Fachwissen eine der Kernkompetenzen
im KAM der heutigen Zeit. Ein Key Account Manager hat schon lange nicht mehr nur einen
"Single-Point-of-Contact", mit dem alle Vereinbarungen getroffen werden. In der hoch
digitalisierten Welt von heute trifft er auf multiple Kontakte - virtuell wie auch
Face-to-Face.
Darüber hinaus ist die neue Einkäufergeneration aufgrund der Digitalisierung sehr
gut über die Produkte und Preise informiert. Transparenz der Leistungen und Austauschmöglichkeiten
in Foren und Plattformen führen dazu, dass oftmals die Kaufentscheidung bereits gefällt
ist, bevor der Key Account Manager zum Gespräch eingeladen wird. Er muss daher sicherstellen,
dass er bei persönlichen Gesprächen einen Beratungsmehrwert liefert, um sich nicht
überflüssig zu machen. Generell sollte er durch die Nutzung digitaler Medien dafür
sorgen, dass er sichtbar ist und zum Beispiel vom Interessenten in der Informationsphase
gefunden wird.
Der Key Account Manager als Werttreiber
Das folgende Beispiel macht greifbar, wie der Key Account Manager Mehrwert für den
Kunden generieren kann und dabei ebenfalls Vorteile für das eigene Unternehmen erzielt:
Im KAM sind mehrjährige Vereinbarungen üblich. Im Rahmen eines solchen Lieferantenvertrages
wurden mit dem Key Account diverse Cost-Saving-Initiativen vereinbart. Eine dieser
Initiativen war im Bereich Supply Chain angesiedelt. Unter der Leitung des Key Account
Managers wurde der gesamte Supply-Chain-Prozess von der Produktion bis zur finalen
Lieferung inklusive Einlagerung der Produkte im Kundenlager durchleuchtet.
Bei der Analyse fand man heraus, dass eine Angleichung der Palettenbeladung an die
Batch-Größen der Produktion des Lieferanten für beide Seite Vorteile brachte. Nicht
nur beim Key Account, sondern auch beim Lieferanten war nun ein schlankeres Handling
in der Supply Chain beziehungsweise Produktion möglich. Das führte zu einer Kostensenkung
im fünfstelligen Bereich, ohne dabei an der Produktqualität selbst einsparen zu müssen.
Das Beispiel zeigt, dass ein Key Account Manager zum Werttreiber für das eigene Unternehmen
und seinen Kunden werden kann. Der Wille, sich in die Prozesse der Kunden hineinzudenken
und dabei ein Team von Experten zu koordinieren, ist dabei entscheidend. Erfolgreiche
Firmen müssen es daher schaffen, eine Kultur zu etablieren, die Abteilungsbarrieren
zu Marketing, Aftersales und anderen kundennahen Bereichen einbrechen und die Kundenkontaktpunkte
vollumfänglich begreifen. Der Kundennutzen muss im Zentrum des Handels einer Firma
stehen. Denn wer es schafft, aus der Sicht des Kunden zu denken, der kann seine Probleme
verstehen und Lösungsansätze oder Bedürfnisse erzeugen, bevor der Kunde danach fragt.
Wie lässt sich nun dieser Ansatz trotz der Herausforderungen und Rezession durch Covid-19
weiter mit Leben füllen? Zunächst kann man kämpferisch auftreten und es wie Wal-Mart-Gründer
Sam Walton sehen. Er wurde in der Rezession Anfang der 90er-Jahre gefragt, wie er
die Situation einschätzt. Seine Antwort: "Ich habe darüber nachgedacht und dann beschlossen,
nicht daran teilzunehmen." Nun kann allerdings nicht jedes Unternehmen von der Covid-19-Situation
so profitieren wie Amazon, Netflix, Baumaterial- und Werkstoffhersteller oder (eher
verblüffend) plastische Chirurgen. In Abbildung 3 ist der Einfluss der Corona-Krise
auf einzelne Branchen aufgeführt.
Man kann nun schnell zu dem Schluss kommen, dass sich das Key Account Management in
Branchen, die massiv von Covid-19 getroffen sind, eigentlich gar nicht mehr lohnt.
Doch gerade Unternehmen in diesen Branchen suchen verzweifelt nach Hilfe. Hier kann
ein Key Account Manager entscheidende Impulse geben, wie folgendes Beispiel zeigt:
Ein chinesischer Kosmetikkonzern musste während des Corona-Ausbruchs 40 Prozent seiner
Geschäfte schließen. In der Folge ging der Umsatz um 90 Prozent zurück. Mit dem Key
Account Management von Alibaba wurde innerhalb von fünf Tagen der Verkauf vom stationären
Handel in den Online-Handel verlegt. Doch dabei blieb es nicht. Die Mitarbeiter wurden
parallel geschult, damit sie als Influencer agieren konnten. Über Plattformen - zum
Beispiel Wechat - stellten sie ab sofort die Kosmetikprodukte vor. Dies innerhalb
von so kurzer Zeit zu schaffen, ist schon aller Ehren wert. Doch auch der Umsatz schoss
in die Höhe und erreichte 200 Prozent Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr.
Der Key Account Manager kann somit den durch Corona massiv betroffenen Unternehmen
helfen und so für beide Seiten Vorteile generieren. So kann er etwa helfen, neue Einnahmequellen
zu finden und zu nutzen, die Supply Chain zu stabilisieren, ein lokales Lieferantennetzwerk
aufzubauen oder die Liquidität zu sichern.
Damit das Key Account Management in der aktuellen Covid-19-Situation seine volle Kraft
entfalten kann, empfiehlt sich eine bimodale Vorgehensweise. Auf der einen Seite wird
eine virtuelle Operationszentrale eingerichtet, die den Fokus auf das Tagesgeschäft
legt.
Neben der Definition und dem Monitoring gehört unter anderem die Entwicklung einer
branchenspezifischen Account-Strategie dazu, für die Antworten auf folgende Fragen
Voraussetzung sind:
Wie wird vermieden, dass Kunden opportunistisch nach Rabatten rufen?
Welche Optionen gibt es, um Kunden zu helfen, die durch Covid-19 hart getroffen sind?
Wie wird der weitere Kauf für den Kunden ohne deutliche Auswirkungen auf die Marge
(zum Beispiel Rabatte zeitlich begrenzen, Mindestbestellmengen reduzieren, Testangebote
entwickeln) einfacher?
Wie kann der Verlust der Beziehung zu den relevanten Ansprechpartnern verhindert werden?
Auf der anderen Seite dürfen mittel- bis langfristige Aktivitäten nicht aus den Augen
verloren werden. Denn oft liegt der Fokus auf "dringend" statt auf "wichtig". Doch
wenn die wichtigen Dinge dringend werden, ist es in der Regel zu spät. Gerade in der
aktuellen Lage sollte man weiterhin Zeit darauf verwenden, die Wertbotschaften und
einen "Proof-of-Value" weiterzuentwickeln. Vielleicht ist es jetzt die Zeit, sich
die Frage zu stellen, warum der Key Account noch in fünf oder zehn Jahren auf der
Kundenliste stehen wird? So können neue Impulse für neue Produkte, Lösungen und Geschäftsmodelle
gesetzt werden, um sich vom Wettbewerb abzusetzen.
Professionelles Key Account Management wird somit weiterhin der Werttreiber für Kunden
und das eigene Unternehmen sein. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen,
dass der Covid-19-Donnerschlag massive Spuren hinterlassen wird. Optimismus lässt
sich mit Winston Churchill gewinnen: "Erfolg ist nicht ewig, Niederlagen sind nicht
final: Es ist der Mut weiterzumachen, der zählt!"
Kompakt
Agilität und Wandel waren schon immer erfolgskritisch für ein professionelles Key
Account Management
Die Rolle des Key Account Managers gleicht der eines Möglichmachers: Er stellt die
Fragen, mit denen im eigenen Unternehmen und beim Kunden Denkvorgänge in Gang gesetzt
und die notwendigen Prozesse initiiert werden.
Um die aktuelle Covid-19-Situation zu meistern, ist es wichtig, ein bimodales Key
Account Management zu etablieren.