Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege, für eine Monatszeitschrift wie den NeuroTransmitter
ist es natürlich schwierig, ein so aktuelles Thema wie die Auswirkungen der Coronakrise
auf nervenärztliche, neurologische und psychiatrische Praxen aktuell darzustellen.
Aber außergewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Informationswege. Hier finden
Sie kurz zusammengefasst Informationen zur Coronaproblematik und wie wir in unseren
Praxen damit umgehen können. Bitte beachten Sie, dass unsere Angaben ohne Gewähr sind.
Es handelt sich um eine Situation, wie es sie in der Nachkriegszeit noch nicht gab.
Die Lage ändert sich täglich, und ein Teil dieser Informationen kann morgen schon
überholt sein. Bitte verfolgen Sie die Meldungen in der Laienpresse und natürlich
die Aussendungen der KVen. Alles in allem sind wir davon überzeugt, dass wir in einem
sehr gut organisierten und ausgestatteten Staats- und Gesundheitswesen leben und daher
diese Krise vergleichsweise für jeden Einzelnen ertragbar meistern können. Wichtig
ist, dass wir als Ärzte und Praxisunternehmer unseren Patienten und Mitarbeiterinnen
gegenüber rationale Gelassenheit, Professionalität, Empathie und Optimismus ausstrahlen.
Hygiene: Händedesinfektionsmittel und Schutzmasken/-kleidung sind im Handel nicht
mehr zu bekommen. Die Landesregierungen und die KVen bemühen sich um Beschaffung.
Bisher ohne konkrete Ergebnisse. Seit wenigen Wochen dürfen Apotheker Händedesinfektionsmittel
selbst herstellen und in Kanistern an die Praxen verkaufen. Allerdings fehlt es mittlerweile
häufig an dem hierfür nötigen Alkohol. Die direkte Finanzierung als Praxisbedarf über
die Krankenkassen steht noch aus. Mittlerweile hat die Bundesrepublik Deutschland
die Finanzierung zusätzlicher Hygienemaßnahmen zugesagt (DÄB 12/2020). Alle Patienten
sollen sich direkt beim Eintreten in die Praxis die Hände desinfizieren. An der Anmeldetheke
können Sie ihr Personal durch Plexiglasscheiben vor Patientenaerosolen schützen. Infektübertragung
über Kontaktflächen wie Chipkarten oder Türklinken scheinen kaum eine Rolle zu spielen.
Mundschutzmasken sind in unseren Praxen in der Regel bisher nicht erforderlich. In
besonderen Risikosituationen oder wenn sich Ihre Mitarbeiterinnen besonders vorsichtig
verhalten möchten, können Sie für Patienten mit Atemwegserkrankungen OP-Masken (MNS,
Papiervlies) zur Verfügung stellen. Behandlungspersonal kann insbesondere bei körperlicher
Nähe zum Patienten FFP2-Masken (hält 94 % Aerosol zurück) tragen; etwa beim Blut abnehmen
oder bei elektrophysiologischen Messungen.
Ausgehbeschränkung: Möglicherweise werden die Ausgehbeschränkungen noch weiter verschärft.
Hier ist es sicher sinnvoll, wenn Ärzte ihren Arztausweis mitführen und unsere Mitarbeiterinnen
eine Bestätigung als "systemrelevante" Beschäftigte im Gesundheitswesen.
Coronainfizierte Patienten: Bitte beachten Sie die täglich aktualisierten Nachrichten
des Robert Koch-Institutes (RKI): www.rki.de. Die Tendenz geht mittlerweile dahin,
die Testung erheblich auszuweiten. So sollen Risikopersonen besser vor Infizierten
geschützt werden.
Praxisorganisation und Struktur: Zeitliches und örtliches Aufeinandertreffen von Patienten
sollte entzerrt werden. In Gemeinschaftspraxen können voneinander zeitlich und/oder
örtlich unabhängig agierende Teams gebildet werden. Atemwegs- oder risikoerkrankte
MFA sollten/könnten zuhause bleiben. Atemwegs- oder risiko-erkrankte Patienten brauchen
gegebenenfalls nicht in die Praxis zu kommen und können telefonisch behandelt werden.
Falls nötig, können diese Patienten in der Praxis zeitlich oder örtlich separat behandelt
werden. Routinepatienten ohne akuten Behandlungsbedarf können gegebenenfalls telefonisch
behandelt werden und erhalten einen deutlich späteren Ersatztermin. Insgesamt ist
hier die individuelle Praxisentscheidung gefragt.
Videosprechstunde: Bisherige Mengen- und Genehmigungsrestriktionen der Videosprechstunde
wurden vorübergehend aufgehoben: www.kvb.de. Abrechnung: Grundpauschalen 16/21220,
Pseudo-GOP Video alleine im Quartal 88220, Authentifizierung 01444, Technikzuschlag
01450, Anschubförderung 01451. Siehe auch zu Technik, zertifizierten Anbietern, Registrierung,
Patienteninformation: www.kbv.de/Videosprechstunde. Nach bisheriger Erfahrung scheint
die Videosprechstunde jedoch für ältere, kognitiv eingeschränkte, behinderte und technisch
unerfahrene Patienten wenig geeignet zu sein. Diese sind aber häufig hilfebedürftig
und telefonisch erreichbar. Die Berufsverbände bemühen sich weiter intensiv um die
Abrechnungsfähigkeit telefonischer Leistungen in Coronazeiten.
Abrechnung telefonischer Leistungen: Telefonische AU-Schreibungen sind auch ohne direkten
Patientenkontakt vorübergehend möglich, in Ausnahmefällen auch ohne das Einlesen der
Versichertenkarte: www.kbv.de. Alleiniger telefonischer Kontakt im Quartal mit dem
Patienten: GOP 01435 (Bereitschaftspauschale) ist wie bisher budgetauslösend. GOP
21216 (10 Minuten Fremdanamnese bei schwerer psychischer Erkrankung) ist wie bisher
telefonisch erbringbar. Derzeit laufen Bemühungen, dass weitere EBM-Leistungen (psychiatrische
und neurologische Gesprächsleistungen, psychotherapeutische Sprechstunde) ausschließlich
telefonisch erbracht werden können, vor allem bei Patienten, die für eine Videosprechstunde
nicht geeignet sind oder bei denen die technischen Voraussetzungen hierfür nicht vorhanden
sind. Leider waren diese Bemühungen bisher nur in wenigen KVen erfolgreich (Rheinland-Pfalz,
Hessen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg). Die Kassenärztliche Bundesvereinigung
(KBV) sträubt sich bisher.
Rezepte per Post und eGK: Bei postalischer Zusendung von Rezepten jeglicher Art kann
bis zum 30. Juni 2020 die Portogebühr 40122 (90 Cent) auch neben der Verwaltungsgebühr
01430 oder der Bereitschaftspauschale 01435 abgerechnet werden. War ein telefonischer
oder postalischer Patient im Quartal noch nicht in der Praxis, können die Versichertendaten
der eGK aus dem Vorquartal übernommen werden. Bei solchen Neupatienten ist auch die
telefonische Übermittlung der eGK-Daten samt Versicherungsnummer im Ersatzverfahren
möglich.
Kurzarbeit bei MFA: Fragen Sie hierzu ihren Steuerberater (er ist auch beim Ausfüllen
der Formulare behilflich) oder direkt das Arbeitsamt. Die Bundesregierung hat die
Bedingungen für die Beantragung von Kurzarbeit bei Mitarbeitern von gewerblichen oder
freiberuflichen Betrieben deutlich erleichtert. Antragsformulare finden Sie unter
www.arbeitsagentur.de. Wenn der deutlich verringerte Personalbedarf länger als wenige
Wochen dauert, muss man sich als Praxisinhaber ernsthaft mit dem Thema Kurzarbeit
befassen. Die Regelungen wurden stark flexibilisiert. Die Arbeitsauslastung muss nur
noch bei 10 % der Arbeitnehmer um 10 % vermindert sein. Mit den einzelnen Arbeitnehmerinnen
kann ein unterschiedliches Ausmaß der Kurzarbeit vereinbart werden, unter Berücksichtigung
von Teilzeitregelungen. Nötig ist dafür eine Betriebsvereinbarung mit Einverständnis
der Arbeitnehmerin. Bei Mitarbeiterinnen mit Kindern zahlt das Arbeitsamt 67 % des
Lohndefizits, bei Kinderlosen 60 %. Die Sozialbeiträge werden voll ersetzt. Nach Anzeige
und nachfolgender Genehmigung der Kurzarbeit beim Arbeitsamt (Formblatt) kann dann
der Arbeitgeber die Kurzarbeit konkret einleiten.
Ausfallentschädigung bei Praxisschließung durch das Gesundheitsamt: Fragen Sie auch
hierzu den Steuerberater. Zuständig sind die Bezirks- oder Landesregierungen, etwa
www.freistaat.bayern/dokumente/leistung/668069451898. Wird ein Betrieb oder eine Praxis
vom Gesundheitsamt aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (InSG) geschlossen, hat sie
Anspruch auf Entschädigung nach § 56 InSG. Bezahlt werden auf Antrag Gewinnausfall,
Kosten und Gehälter der Angestellten, wobei wir zunächst bei Krankheit sechs Wochen
Arbeitgebergehaltsfortzahlung vorstrecken müssen. Hat die Praxis eine Betriebsausfallversicherung
abgeschlossen, sind auch hier je nach individuellen Versicherungsbedingungen Zahlungen
vorstellbar.
Umsatzverlust bei reduzierter Patientenversorgung: Wenn wir aufgrund des Fernbleibens
von Patienten oder von Mitarbeiterinnen aus Vorsichtsgründen einen erheblichen Umsatzeinbruch
verzeichnen, unterliegt dies dem Unternehmerrisiko und wir erhalten dafür keinen Ausgleich.
Im Gegensatz zu anderen Freiberuflern oder Betriebsinhabern bekommen wir zunächst
unsere monatlichen Abschlagszahlungen von der KV weiter ausbezahlt. Diese werden jedoch
nach einem halben oder dreiviertel Jahr gegebenenfalls auf die niedrigen "Krisen-Fallzahlen"
sinken. Hier stehen uns gegenüber natürlich der Staat und die Krankenkassen mit Ausfallentschädigungen
ebenso in der Pflicht wie gegenüber Krankenhäusern und der übrigen Wirtschaft, "was
immer es kostet". Denn wir halten die Gesundheitsversorgung der nicht Coronakranken
aufrecht, inklusive der vorsichtshalber aus den Krankenhäusern entlassenen Patienten.
Der finanzielle Schutzschirm für uns niedergelassene Ärzte ist mittlerweile vom Gesetzgeber
zugesagt. Das Gesetz zum Ausgleich finanzieller Belastungen in Gesundheitseinrichtungen
infolge von COVID-19 regelt, dass im ambulanten Bereich die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung
(MGV) trotz reduzierter Leistungsmenge in regulärem Umfang ausgezahlt wird. Extrabudgetäre
Leistungen (EGV) werden zu 90 % ausgezahlt, sofern der Gesamtumsatz der Praxis um
mindestens 10 % gegenüber dem Vorjahresquartal sank und die Fallzahl zurückging. Ob
der Schutzschirm 100%ig das abdeckt, was wir verlieren - da ist Skepsis angebracht.
Denn in circa einem halben Jahr, wenn unsere monatlichen KV-Abschlagszahlungen sinken,
sind schon viele Milliarden in die übrige Wirtschaft abgeflossen.
Anträge auf Steuererleichterung/Stundung oder Soforthilfeprogramme: Informationen
und Anträge zu weiteren finanziellen Unterstützungen finden Sie auf folgenden Internetseiten:
EDV-Steuererleichterungsantrag: www.finanzamt.bayern.de
EDV-Sofortkredit für Unternehmer: www.kfw.de
EDV-Antrag auf Gewährung eines Zuschusses für von der Coronakrise 3/2020 besonders
geschädigte gewerbliche Unternehmen und Angehörige Freier Berufe in Bayern: www.stmwi.bayern.de.
Dr. med. Gunther Carl, Kitzingen
Stellvertretender Vorsitzender des BVDN
Weitere empfehlenswerte Informationsquellen
Hausärzteverband: www.degam.de
NAV-Virchow-Bund: www.virchowbund.de
Medizinisch zu Corona: www.thieme.de/corona